ADS / ADHS und Neurodiversität

„Zwischen Anpassung und Authentizität: Wie neurodiverse Menschen ihren Platz in einer normierten Gesellschaft finden.“

ADS / ADHS und Neurodiversität

Neurodiversität beschreibt die natürliche Vielfalt von menschlichen Funktionsweisen des Gehirns und den Unterschieden in den neurokognitiven Funktionen wie etwa Aufmerksamkeit, Denken oder Reagieren. Abweichungen von der Norm werden nach dem Konzept der Neurodiversität nicht mehr als Defizit betrachtet sondern  fordern die Akzeptanz und Wertschätzung dieser Unterschiede. Autismus, ADHS, Lese-Rechtschreibschwäche und andere Diagnosen sind nicht zwangsläufig krankhafte neurologische Abweichungen, sondern vielmehr ein Ausdruck menschlicher Vielfalt. Auch besondere Personenmerkmale wie Hochsensibilität oder Hochbegabung, die nicht als klinische Diagnosen gelten, finden im Konzept der Neurodiversität ihren Stellenwert.

Neurodivergent und neurotypisch

Als typische Neuroentwicklung gelten Gehirne, die sich hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Funktionen neurologisch normal darstellen. Neurodivergent meint hingegen eine hirnorganische Entwicklung, abweichend von der Norm.  Als neurodivers gilt eine Gruppe von Menschen, die aus neurodivergenten und neurotypischen Personen besteht. Aus dieser Sicht sind alle Menschen als neurodivers zu betrachten.

Demnach ist nach dem Konzept der Neurodiversität kein Vorliegen einer Diagnose notwendig. Damit soll mit diesem Konzept eine veränderte Sichtweise erreicht werden, die statt Pathologisierung Ausprägungen neurologischer Vielfalt befürwortet.

Neurologische Ausprägungen, die im Spektrum der Neurodiversität angesiedelt sind, sind gleichzeitig klassifiziert in den Diagnosesystemen DSM V und ICD 11, wodurch diesen folglich ein Störungs- bzw. Krankheitswert zugeschrieben wird.  Zu diesen gehören unter anderem:

  • Autismus-Spektrum-Störung (ASS) 
  • Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Dyslexie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) 
  • Dyskalkulie (Rechenschwäche) 
  • Dyspraxie (Koordinations- und Entwicklungsstörung)
  • Tourette-Syndrom


Diese unterschiedlichen Sichtweisen werfen die Frage auf, was als „normal“ oder „normgerecht“ gilt. Die Wissenschaft bezieht sich hierbei auf die Statistik, die das als normal definiert, was in einem bestimmten Bereich um den Durchschnitt herum liegt. Dies ist einfach zu bestimmen bezüglich konkret messbarer Merkmale, wie beispielsweise der Körpergröße. Schwieriger wird es, wenn wir Erwartungen an Verhaltensweisen betrachten, die neurotypische Menschen meistens erfüllen, neurodivergente jedoch oftmals nicht. Gesellschaftliche Erwartungen als Maßstab für Gesundheit und Krankheit zu betrachten wirft grundsätzliche Fragen auf.

Neurodivergenz oder Störung? Autismus und ADHS

Der Ursprung des Neurodiversitätsbegriffs liegt in der Autismusbewegung; die Gruppe der ADHS Betroffenen hat sich in diesem Konzept gleichermaßen wiedergefunden und sich dieser Bewegung angeschlossen. Bis dahin wurden Autismus und ADHS als reine Störungsbilder beschrieben. Dabei zeigten Forschungen, dass die Art zu denken, zu fühlen und die Welt zu erleben sich auf einem Spektrum abbildet, einem Kontinuum ohne einer klaren Grenze, die zwischen gesund und krank zu klassifiziert.  Neurokognitiv unauffällige Personen können sich kaum vorstellen, wie ein Mensch mit Autismus oder ADHS die Welt erlebt. Und dies gilt anders herum gleichermaßen. Von außen sehen wir immer nur, wie sich die anderen verhalten. Aber wie etwa Eindrücke auf Menschen mit ADHS ungefiltert einprasseln oder jemand mit Autismus die Mimik des Gegenübers erst mühsam entschlüsseln muss, ist für andere unsichtbar.

Für viele neurodivergente Menschen liegt die größte Herausforderung darin, in einer Gesellschaft zurechtzukommen, die vor allem auf neurotypisches Erleben und Verhalten ausgerichtet ist. Umso wichtiger ist es, ihr Umfeld so zu gestalten, dass individuelle Voraussetzungen berücksichtigt werden. Im Job gilt ein eine Nische zu finden, in denen neurodivergente Menschen ihre Störken nutzen können und ihre Schwächen in den Hintergrund rücken können. Mittlerweile erkennen immer mehr ArbeitgeberInnen das hohe Potenzial neurodivergenter Menschen und große Unternehmen haben gezielt Programme zur Inklusion ins Leben gerufen, die auf Toleranz und Vielfalt aufmerksam machen.

Dabei gilt es nicht nur die speziellen Sachkompetenzen in den Blick zu nehmen. Genauso entscheidend ist das Verständnis für Unterschiede in den sozialen Fähigkeiten. Menschen mit Autismus deuten etwa nonverbale Signale wie Mimik oder Körperhaltung fehlerhaft. Durch Wissensaneignung  können sie jedoch lernen, solche Hinweise zu analysieren und adäquat darauf zu reagieren.

Neurodivergenz als Vielfaltsmodell verstehen neurologische Unterschiede als natürliche Varianten des Menschseins. Herausforderungen, mit denen Betroffene konfrontiert sind liegen nicht nur in ihren Personenmerkmalen sondern entstehen auch durch gesellschaftliche Barrieren. Daher sollte gesellschaftlich der Fokus auf Akzeptanz, Wertschätzung der besonderen Ressourcen und Teilhabeförderung liegen. Erste Initiativen auf der Basis neurodiverser Prinzipien entstehen im Zusammenhang mit der Entwicklung barrierefreier Tools, anpassbarer Lernsysteme und inklusiver Bildungssysteme und Arbeitsplätze.

ADS / ADHS bei Erwachsenen

Eine unerkannte ADHS kann zu erheblichem Stress und innerem Leid führen – oft bleibt dies jedoch lange unbemerkt, weil Betroffene ihre Schwierigkeiten im Alltag, im Beruf und in Beziehungen geschickt ausgleichen und verbergen.

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